Alexander Gerst ist seit 3. Oktober 2018 Kommandant der ISS auf seiner bereits zweiten Mission
Was fasziniert Sie am Mond?
Es gibt sehr viele Dinge, die mich am Mond interessieren und faszinieren. Wie mag es sein, auf der Mondoberfläche zu stehen, nach oben zu schauen und plötzlich am Himmel unsere Heimat Erde als eine kleine blaue Scheibe zu sehen? Und dazu im Kontrast, wenn man sich umschaut, alles grau zu sehen, mit einem schwarzen Himmel, nicht wie von uns aus gesehen blau, mit gleißendem Sonnenlicht – das muss umwerfend sein.
Können Sie sich vorstellen, selbst auf der Mondoberfläche zu stehen?
Ja, das ist sicher ein grandioses Gefühl, wenn man rausschaut und am Himmel die Erde sieht. Ich denke aber auch, dass es zur Herausforderung werden kann, auf einer Basis zu leben, die auf der Rückseite des Mondes ist. Von dort sieht man die Erde nämlich nie. Vielleicht macht aber gerade das noch mehr mit uns: Wenn wir die Erde nicht mehr dauerhaft im Blick haben, wird das uns Menschen im Innersten berühren.
Birgt der Mond noch Geheimnisse?
Eigentlich wissen wir noch nichts über den Mond. Wir Menschen waren dort an sechs unterschiedlichen Orten. Aber der Mond ist um ein Vielfaches größer als Europa. Wenn Sie da an sechs Orten landen und ein paar Steine aufsammeln würden, dann wüssten Sie auch erst mal gar nichts darüber. Dabei ist der Mond so wertvoll in dem, was er uns zu sagen hat: Er hat keine Atmosphäre mehr, das heißt geologische Prozesse stehen quasi still. Deshalb ist er ein offenes Geschichtsbuch über unsere Vergangenheit.
Mission Apollo: Husarenstück oder technische Meisterleistung?
Wenn ich auf die ersten Apollo-Missionen zurückschaue, habe ich eine riesige Ehrfurcht, mit welchen Mitteln man diesen Erfolg herbeigeführt hat. Natürlich ging das zulasten des Risikos. Das war damals sehr viel höher, als man es heute eingehen würde, und es war ein großer Teil Glück dabei, dass bei den Apollo-Missionen nicht mehr passiert ist.
Warum ist der Mond als nächstes Ziel für die Raumfahrt so interessant?
Der Mond ist eine kritische Zwischenstation auf dem Weg zum Mars. Er ist der einzige Ort, wo es ähnliche Bedingungen gibt wie auf dem Mars – das heißt verminderte Gravitation, Vakuum, Strahlung – und wo wir gleichzeitig, wenn irgendetwas schiefgeht, relativ schnell wieder zur Erde zurückkönnen. Die Fahrt zum Mond und zurück lässt sich in zwei Wochen bewerkstelligen – das ist etwa so wie vor 100 Jahren in die Antarktis und zurück. Auf dem Mond können wir Technologien testen, die wir brauchen, um zum Mars zu fliegen und auf dessen Oberfläche zu arbeiten.
Wie könnte das Szenario für die nächsten Missionen zum Mond aussehen?
ESA und NASA bauen zusammen schon seit einigen Jahren das ORION-Raumschiff. In wenigen Jahren wird es fertig sein und seinen Jungfernflug zum Mond antreten. Das reicht aber nicht. Wir müssen dort auch eine Präsenz aufbauen, die es uns erlaubt, den Mond von Nahem in Augenschein zu nehmen und vielleicht ein Landegerät auf die Oberfläche zu schicken. Dafür bauen wir gerade den sogenannten "Deep Space Gateway". Das kann man sich als Basislager vorstellen, wie es die Kletterer vom Mount Everest unten haben, von wo aus sie relativ schnell zum Gipfel vordringen können. Der Deep Space Gateway ist eine Station, die in einem Orbit um den Mond kreist. Von dort kann man dann relativ leicht mit einem bemannten oder robotischen Landegerät auf die Oberfläche des Mondes kommen. Man spürt tatsächlich einen neuen Geist bei den Raumfahrtagenturen. Das ist ein Projekt, das alle begeistert.
Ein Vorteil des Mondes ist, dass er sehr gut gelegen ist. Sehr praktisch für uns Erdlinge, weil er schon relativ weit außerhalb des Erdgravitationsfelds liegt. Wenn man zum Mond fliegt, dann muss man das meiste der Erdgravitation hinter sich lassen, um überhaupt dorthin zu kommen. Wenn man mal dort ist, kann man relativ leicht weiter rausfliegen ins Universum, in unser Sonnensystem. Man kommt relativ schnell weiter zum Mars oder zu interessanten Punkten innerhalb unseres Sonnensystems.
Wie können wir auf dem Mond zu neuen Horizonten schauen?
Wir haben herausgefunden, dass Radioteleskope sehr gut geeignet sind, um weit in den Kosmos rauszuschauen. Deshalb denken wir darüber nach, auf der Rückseite des Mondes ein Radioteleskop zu bauen. Das hätte den großartigen Vorteil, dass es von der irdischen Radiostrahlung komplett abgeschirmt wäre. Die Erde ist ja seit der Erfindung des elektrischen Lichts und des elektrischen Stroms eine große Quelle von Radiostrahlung. Dadurch blockieren wir uns den Blick raus in den Weltraum.
Wo genau könnte der nächste Landeplatz auf dem Mond liegen?
Ein Landeziel, das wir auf dem Mond haben, sind die Pole. Die Mond-Pole haben den Vorteil, dass das Sonnenlicht dort immer sehr flach einfällt. Das heißt, dort gibt es Krater, in denen nie die Sonne scheint und sich wahrscheinlich Wasser gesammelt hat. Wir wissen noch nicht genau, wie viel dort ist, aber es ist wahrscheinlich so reichlich vorhanden, dass wir es nutzen können. Zum Beispiel, um es in Trinkwasser oder Treibstoff umzuwandeln. Durch Sonnenenergie können wir es in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten und damit dann weiter rausfliegen zum Mars oder zurück zur Erde – je nachdem, wofür wir es brauchen.
Ein weiterer Vorteil der Mond-Pole ist, dass man dort auf einem Kraterrand oder auf einem Mond-Berg ein Solar-Panel aufstellen könnte. Da die Sonne dort sehr flach von der Seite einfällt, würde es fast immer beschienen. An anderen Orten des Mondes müsste man genauso wie auf der Erde Tag und Nacht abwarten mit dem Nachteil, dass auf dem Mond ein Tag-Nacht-Zyklus fast einen Erd-Monat dauert – die Hälfte davon Tag, die Hälfte davon Nacht.
Die Fragen stellte Luise Wagner.