Sie sind Professor für Geologie, einer Wissenschaft, die sich vor allem mit Steinen und ihrer Geschichte beschäftigt. Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Steinen beschreiben?
Steine sind für mich ein lebendiger Teil der Landschaft. Ich versuche immer ihre Geschichte, ihre Zusammensetzung und Lage in der Landschaft zu verstehen. Sie sind Zeugen einer vergangenen Zeit auf der Erde, was mich fasziniert. Das macht mich zu einer Art Ur-Geschichts-Forscher.
Was hat Sie dazu gebracht, Geologe zu werden?
Mein Vater, der Sohn eines Kohlebergbauers und selbst Bergbauingenieur war, hat mich sehr beeinflusst. Als ich ein kleines Kind war, waren wir oft auf den Minenhalden auf der Suche nach Mineralien. Später haben wir Astronomie zusammen gemacht und sogar Teleskope selbst gebaut. Als ich dann über das Studium nachdachte, standen Geologie oder Astronomie zur Wahl. Leider bin ich ein Mathemuffel, damit schied Astronomie aus. Nun mache ich also Entdeckungen auf dem für die Menschen wichtigsten Himmelskörper – der Erde.
Wie findet man etwas über die Geschichte eines Steines heraus?
Steine speichern sehr viele Informationen über ihre Entstehung in ihrer Zusammensetzung. Das kann die Art von Mineralien sein, die sie enthalten – ein Stein aus reinem Kalk zum Beispiel wurde höchstwahrscheinlich im Meer abgelagert. Das kann die Größe der Mineralkörner sein – bei Sedimentgesteinen sind grobkörnige Exemplare in einer eher rauen Umgebung abgelagert worden. Oder auch die Form der Körner – eckige Körner sind nicht weit von ihrer Quelle transportiert worden, Sandkörner in Wüstendünen dagegen, die über Jahrtausenden hin- und her geweht wurden, sind meist völlig rund. Auch kann man aus der Relation eines Steins zu seiner Umgebung einiges ablesen: Wo in einer Gesteinsabfolge liegt er? Welcher Stein entstand vor und welcher nach ihm? Daraus lässt sich oft eine Geschichte der Erdentwicklung ableiten.
In der zweiteiligen Dokumentation "Terra X: Expedition Europa" erzählen Sie uns von der Naturgeschichte Europas. Haben Sie als Engländer eine besondere Beziehung zu diesem Erdteil?
Ich bin überzeugter Europäer, denn meine berufliche Laufbahn verdanke ich Europa. Ohne die europäische Freizügigkeit hätte ich vielleicht nie eine Karriere in Deutschland beginnen können. Und ich finde unseren Kontinent einfach faszinierend. Es gibt so viele wunderschöne Landschaften und so viele unterschiedliche Menschen. Am Tag nach der Brexit-Entscheidung habe ich meinen Antrag auf Einbürgerung in Kiel gestellt, dem glücklicherweise stattgegeben wurde.
Wenn es um die Bewegungen der Kontinente geht, spricht man über lange Zeiträume – Millionen von Jahren. Das liegt weit jenseits des Zeithorizontes eines Menschen. Wie kann man sich so etwas vorstellen?
Diese Zeiträume, von denen wir sprechen, sind kaum fassbar. Aber wir können die Bewegung der Kontinente in menschliche Maßstäbe fassen: Die Platten bewegen sich täglich ungefähr so schnell, wie ein Fingernagel wächst.
Welche sind die speziellen Herausforderungen, wenn man einen Film über so lange Zeiträume und so große Landschaften macht?
Sicherlich alles mit einem "roten Faden" zusammenzuhalten. Der Kontinent Europa hat sich über eine sehr lange Zeit zusammengesetzt. Die steinernen Zeugen davon sind weit verstreut. Die Drehbuchautoren Ralf Blasius und Mona Haffner mussten aus vielen einzelnen Fakten eine zusammenhängende und spannende Geschichte schreiben.
Warum ist es wichtig, solche Zusammenhänge, die mit unserem Leben erstmal nichts zu tun haben, zu verstehen und zu erklären?
Sie haben nur scheinbar nichts mit unserem täglichen Leben zu tun. Wenn man sich aber fragt "Warum verläuft diese Straße hier?", " Warum gibt es hier eine Stadt?", "Aus was besteht dieser Gegenstand?", dann liegt die Antwort fast immer in der Geologie. Insofern ist das Verständnis davon, wie ein Kontinent entstanden ist, jeden Tag relevant. Und je technologisierter unsere Gesellschaft wird, desto wichtiger ist es, die Fundamente, auf denen das alles steht, zu verstehen.
Was sagen Sie den Menschen, die behaupten die äußere Gestalt unsere Erde verändere sich nicht?
Machen Sie die Augen auf! Jeder Vulkanausbruch, jeder schmelzende Gletscher, jedes Erdbeben, jeder Wintersturm, der einen Strand wegspült, verändert die Erde nachhaltig. Längerfristig kann man wie wir in der Sendung die Veränderungen mit Fossilien gut belegen. Aber meistens sind die Menschen von der Dynamik unserer Erde überzeugt. Die Frage, die ich oft gestellt bekomme, ist eher, wie stark die Aktivitäten sein könnten.
Während der Dreharbeiten waren Sie an mehr als 40 verschiedenen Drehorten überall in Europa. Wo hat es ihnen am besten gefallen?
Fast jeder Drehort hatte seinen ganz eigenen Reiz. Ich war zum Beispiel bis dahin noch nie im Donaudelta gewesen und war überwältigt von der Lebensvielfalt dort. Nordschottland kannte ich dagegen aus der Kindheit sehr gut. Dennoch finde ich auch diese Landschaften immer wieder grandios. Und wir haben viele spannende, nette Leute überall kennengelernt. Von unserem Island-Führer Snorri, der mir das Gehen auf Steigeisen beigebracht hat, zu unserer Gastgeberin in der Schweiz, die als britischer Teenager ihrem Mann in die Alpen folgte und daher nur Englisch und Schweizerdeutsch sprach.
Sicherlich waren auch extreme Regionen dabei. War es denn irgendwo gefährlich?
Vor allem im Uralgebirge in Russland. Hier waren die Wetterbedingungen gewöhnungsbedürftig. Die Orientierung im Schneetreiben war nicht ohne – zum Teil haben wir so wenig sehen können, dass nur eine GPS-Position geholfen hat.
Sie arbeiten für das Forschungsinstitut Geomar in Kiel und sind viel unterwegs. Hilft das Reisen, um wissenschaftliche Zusammenhänge besser zu verstehen?
Besonders als Geowissenschaftler muss man die Zusammenhänge der Erde verstehen und das heißt bislang: an die Orte fahren und die Steine aufnehmen. In meinem Fall bedeutet das auch, dass ich als Meeresforscher zum Meeresboden fahren muss. Moderne Technologien, wie Virtual Reality, helfen bislang nur teilweise. Der Mensch nimmt nach wie vor die Verhältnisse vor Ort immer am besten auf.
Welche Projekte würden Sie noch reizen?
Ich finde die Beziehung der Geologie zu unserem täglichen Leben sehr spannend und allgegenwärtig. Daher fände ich es sehr interessant, den Menschen, zum Beispiel in weiteren Dokumentationen, die Leidenschaft für unseren Planeten und für die Forschung nahezubringen. Ich treffe immer wieder auf Wissenschaftler, die für die Forschung brennen. Dies zu zeigen und so eine Begeisterung für die Erde und all ihre Prozesse zu erwecken, finde ich sehr reizvoll.
Die Fragen stellte Ralf Blasius.