"Die Burg war ein multifunktionales Herrschaftsinstrument"
In ihrem Forschungsprojekt untersuchen Sie die deutsche und europäische Burgenlandschaft. Wie viele Burgen sind einst gebaut worden und wie viele davon sind noch erhalten?
Für Deutschland haben wir noch keine flächendeckende Bestandserfassung, nur vereinzelte Bundesländer sind bislang eingehend und kompetent erfasst. Wenn wir berücksichtigen, dass die meisten hochmittelalterlichen Burgen aus Holz und Erde bestanden und deshalb oft aus der heutigen Landschaft verschwunden sind, kann die Zahl der zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert errichteten Burgen nicht hoch genug angesetzt werden. Es könnten an die 30.000 bis 40.000 gewesen sein. Erhalten, intakt oder ruinös sind allenfalls 15.000 Objekte.
Welche ist die älteste erhaltene Burg in Deutschland?
Es gibt einige deutsche Burgen, deren Mauern in ihrer aufgehenden oder archäologischen Substanz bis ins 11. Jahrhundert zurückreichen. Aber sich auf eine älteste Burg festzulegen, ist nicht möglich. Es gibt zwar Burgbesitzer, die dieses Prädikat für sich beanspruchen und vermarkten, doch entbehrt dies zumeist einer wissenschaftlichen Grundlage.
Welches Geheimnis können Sie uns zu den Burgen des Mittelalters verraten?
Dass es die allein für die Verteidigung im Kampf gebaute Burg bei uns nie gab. Die hochmittelalterliche Burg auf deutschsprachigem Boden war ein multifunktionales Herrschaftsinstrument, das in erster Linie der Machtinszenierung, der Herrschaftsausübung, der Verwaltung und vor allem der Befriedung des Landes diente.
Welche Errungenschaften bot die Burg gegenüber anderen Bauwerken des Mittelalters?
Sie war zumeist tatsächlich ein fester, da oft schwer zugänglicher und durchaus wehrhafter Bau, also ein weitgehend sicherer Platz.
Was war aus Ihrer Sicht im Mittelalter die effektivste Methode, um eine Burg zu erobern?
Effizient war die Belagerung mit Aushungern: Mit einem geringen Aufwand an Menschen und Material konnte man viele Menschen treffen. Bei langen Belagerungen kostete diese Methode aber sehr viel Geld, da das Kriegspersonal bezahlt werden musste. Wirkungsvoll im flachen Land waren Wurf- und Schleudermaschinen sowie Belagerungsminen.
Welche sind ihre Lieblingsburgen?
In Deutschland ist es die von mir selbst mustersanierte Burgruine Hohenfreyberg im Allgäu, weil sie so großartig, so spektakulär in der Landschaft liegt, eine wunderbare Silhouette und eine unglaublich spannende Entstehungsgeschichte hat. In Europa ist es der schottische Wohnturm Claypotts Castle (heute in einem Vorort von Dundee), der erst im späten 16. Jahrhundert erbaut wurde und über einen Z-förmigen Grundriss eine pittoreske Außenwirkung entfaltet.
Wie kann man sich das Leben auf einer Burg vorstellen?
Wenn man nicht zum Hohen Adel beziehungsweise zur adeligen Führungsschicht gehörte, war das Leben auf einer Burg eher beschwerlich und von Entbehrungen, Unannehmlichkeiten und Langweile geprägt. In den langen Wintermonaten kühlten die Mauern aus, die Fenster mussten – da Glas zu teuer war – verrammelt werden, weshalb es in den Räumen duster, rauchig und stickig wurde. Und dies über Monate hinweg. Erst Glas als Industrieware und die Beheizung mit Kachelöfen verbesserten im späten Mittelalter die Lebensbedingungen auf Burgen erheblich.
Wie hat die Burgenromantik unser heutiges Bild der Burgen geprägt?
Die Mittelalter- und Burgeneuphorie des 18. und 19. Jahrhunderts hat die Burgen zum einen extrem militarisiert und monumentalisiert, zugleich aber auch zu einer verspielten Kulissen degradiert. Noch heute glauben viele leider, dass das Mittelalter rückständig, finster und extrem kriegerisch war und Burgen nichts weiter als gewaltige Kriegsinstrumente waren.
Die Fragen stellten Sonja Trimbuch und Martin Becker.