Man nennt Sie auch "Sir Mammoth". Sind Mammuts Ihre Lieblings-Riesentiere?
Schon als Dreizehnjähriger habe ich Fossilien gesammelt. 1968 habe ich dann in einer Kiesgrube meinen ersten Mammutknochen gefunden, einen riesigen Oberarmknochen. Das war ein Erlebnis: Es war im Februar, und in dem See am Grund der Grube sah ich einen Teil des Knochens unter dem Wasserspiegel aus dem Boden ragen. Von dem Moment an war ich fasziniert von Mammuts und anderen Eiszeittieren. Für meine Arbeiten auf diesem Gebiet wurde ich im Jahr 2000 von Königin Beatrix zum Ritter im Orden von Oranje Nassau ernannt. Daher "Sir Mammoth".
Was fasziniert Sie an Eiszeittieren?
Es gibt immer noch so viele Missverständnisse über das Mammut und seine Zeitgenossen. Sie haben nicht in Schnee und Eis gelebt. Ihr Lebensraum war eine kalte, trockene, fast baumlose Steppe, die sich von England im Westen über Europa und Asien über das trockene Beringmeer bis nach Nordamerika erstreckte. Das wissen wir dank der fossilen Überreste der Tiere. Daraus können wir noch so viel lernen. So haben wir in den Niederlanden zum Beispiel durch einen Fund aus der Nordsee – während der Eiszeit lag dort wegen des niedrigeren Meeresspiegels Land – nachgewiesen, dass die Säbelzahnkatzen in Eurasien nicht schon vor rund 300.000, sondern erst vor 28.000 Jahren ausgestorben sind.
Wie ist der neueste Stand der Forschung: Hat der Mensch die Riesentiere auf dem Gewissen?
Das Aussterben der Megafauna am Ende der Eiszeit geht auf mehrere Faktoren zurück. Mammuts und andere große Säugetiere waren mehrere Millionen Jahre sehr erfolgreich. Sie haben sich viele Male an veränderte Lebensbedingungen angepasst und mehrere Warmzeiten überstanden.
Am Ende der Eiszeit befanden sich die Mammuts schließlich auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung. Doch dann kam es zu dramatischen Klimaänderungen. Nach einer langen Zeit extremer Kälte wurde es erheblich wärmer. Die kalte und trockene Mammutsteppe verschwand fast überall. Gleichzeitig nahm die Zahl unserer Vorfahren zu, und der Druck auf die Tiere durch Jagd stieg. Das erzeugte Stress und war wohl der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Mammuts und viele andere Großtiere verschwanden von der Weltbühne.
Was brauchen große Tiere zum Überleben?
Große Säugetiere wie Mammuts benötigen riesige Lebensräume, ein Biotop, das sich bald nach der Beweidung erholt, denn die Tiere fressen sehr viel. Das funktioniert nur in einem Grasland, nicht in der Tundra. Die Vegetation der heutigen Tundra erholt sich im Gegensatz zu den damaligen Grassteppen nur sehr langsam. Die Tiere brauchten außerdem viel Trinkwasser, ein Mammut bis zu 300 Liter pro Tag. Das fanden sie in der trockenen Mammutsteppe nur an Flüssen.
Waren große Tiere am Ende der Eiszeit stärker vom Aussterben bedroht als kleinere?
Die meisten Riesen waren spezialisierte Grasfresser und weniger in der Lage, sich an eine andere Umwelt anzupassen. Kleinere Tiere sind meistens flexibler und passen sich daher schneller an, wie zum Beispiel der Arktische Ziesel, ein Nagetier, das schon in der Mammut-Steppe lebte und auch heute noch in großer Zahl im Hohen Norden vorkommt. Außerdem wurden einige große Tierarten offenbar auch besonders stark durch den Menschen bejagt. Gut möglich, dass gerade diese Tiere deshalb so unter Stress gerieten, denn sie hatten nur wenige Nachkommen und es dauerte lange, bis sie ausgewachsen und geschlechtsreif waren.
Ist der Mensch ein Störfaktor in der Evolution, lenkt er die Naturgeschichte um?
Ja, der Mensch spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Tieren über einen längeren Zeitraum. Das sieht man alleine daran, dass viele der heutigen Tierarten Nutztiere sind, die der Mensch gezüchtet hat. Und er greift in die Entwicklungsgeschichte ein, indem er Tiere schützt, wie beispielsweise in Tierparks.
Wie bedrohlich ist der Mensch heute für die Tierwelt?
Die Menschheit ist eine Bedrohung für die Artenvielfalt im Allgemeinen, für die Pflanzen und die Tiere. Fast acht Milliarden Menschen leben heute auf der Erde. Sie müssen alle ernährt werden, brauchen Platz zum Wohnen, möchten ihren Lebensstandard steigern und am Konsum teilhaben. Das ist so gewaltig, dass kaum noch Platz für Tiere bleibt, geschweige denn für die großen Tiere.
Was hat Sie bei Ihren neuesten Forschungen am meisten überrascht?
Als wir in White Sands in New Mexico Fußabdrücke von Mammuts entdeckten, in denen Fußabdrücke von Menschen erhalten waren. Diese Spuren sind 13.000 oder 14.000 Jahre alt. Wir waren auf der Suche nach guten Mammut-Spuren und sind auf Abdrücke seines größten Angreifers gestoßen, des Menschen. Das ist spektakulär, und davon kann man nur träumen.
Warum ist es wichtig, sich mit dem Aussterben der eiszeitlichen Großtiere zu beschäftigen?
Wir können viel aus dem Fossilienbestand lernen, über den sich verändernden Planeten und über die Entwicklung unserer eigenen Spezies. Außerdem über das natürliche Kommen und Gehen von Tieren und Pflanzen, einen Prozess, den wir akzeptieren müssen, weil es ihn immer schon gab. Aber wir können auch viel darüber lernen, dass schon wenige Menschen genügen, um die Entwicklungsgeschichte umzulenken.
Wo und wie kann man etwas über das Leben der Megafauna erfahren?
Obwohl die Megafauna schon lange ausgestorben ist, kann man in vielen Museen auf der ganzen Welt noch sehr viel über diese Großtiere erfahren. In Deutschland sind zum Beispiel das Staatliche Museum für Naturkunde in Stuttgart, das Urmensch-Museum in Steinheim an der Murr oder die Eiszeithalle vom Quadrat in Bottrop einen Besuch wert. Dort lernt man auch viel über Wollhaarmammuts, die Ikonen des Eiszeitalters, beispielsweise wo sie herkamen, wie sie sich über die Nordhalbkugel ausgebreitet haben, wie groß sie waren und warum sie ausgestorben sind.
In Nordamerika sind die La Brea Tar Pits in Los Angeles, der Mammoth Site of Hot Springs (South Dakota) oder das Beringia Interpretive Center in Whitehorse (Yukon Territory, Kanada) gute Anlaufstellen für Besucher, die sich für die Eiszeit und ihre Tierwelt interessieren.
Die Fragen stellte Florian Breier.